S. Groh u.a.: Forschungen im Vicus Ost von Mautern-Favianis

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Titel
Forschungen im Vicus Ost von Mautern-Faviani. Die Grabungen der Jahre 1997–1999


Autor(en)
Groh, Stefan; Sedlmayer, Hela
Reihe
Der römische Limes in Österreich 44
Erschienen
Wien 2006: (0)
Anzahl Seiten
768 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Urs Niffeler

Im Südostteil der Ortschaft Mautern, die rund 60 km westlich Wien am Südufer der Donau liegt, wo der Fluss aus dem engen Tal in die Weite des Tullner Beckens fliesst, standen in den 1990er Jahren Bauprojekte zur Ausführung an. Da sich die entsprechenden Parzellen im Bereich des ehemaligen Kastellvicus befinden, war eine Rettungsgrabung mit einer Gesamtfläche von 4650 m2 unumgänglich. Sie wurde im Auftrag des Österreichischen Archäologischen Instituts und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und mit Billigung des Bundesdenkmalamtes durchgeführt. Zum Vorschein kam ein Ausschnitt aus dem Vicus, der gleichzeitig mit dem Kastell, um 70 n.Chr., gegründet und um 360/370 n.Chr. aufgelassen wurde (eine zivile letzte Besiedlung im Lagerinneren bestand bis 450 weiter). An die Feldarbeiten schloss sich ein Auswertungsprojekt an, das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert wurde. Resultat ist die vorliegende Publikation, ein (ge)wichtiges Werk in jeder Hinsicht (Gesamtgewicht 5,2 kg). Es ist der dritte, innert weniger Jahre erschienene Band zu Mautern und ergänzt, was den Ort angeht, die Publikationen zum Auxiliarkastell und zum Südvicus. Im Band «Südostvicus» selbst findet sich zudem ein Katalog zu 84 Fundplätzen im Vicus, auf denen hauptsächlich nach 1930, Relikte zum Vorschein kamen, von Einzelfunden bis zu ganzen Gebäuden und Teilen von Nekropolen (S. 178–196).

Im Textband legt zunächst St. Groh die Grabung (S. 21–33) und die festgestellten Befunde vor (S. 34–105). Letztere sind in 6 Perioden eingeteilt. Fix bleiben während dieser ganzen Zeit der Verlauf der zwei, grob West-Ost verlaufenden «Hauptstrassen» und der sie verbindenden Stichstrassen. Die in Periode 1 (70-100/110) fixierten Grenzen der recht einheitlich tiefen (39.5–40.8 m), aber klar unterschiedlich breiten Parzellen (9.5–15 m) hingegen wurden teilweise schon beim Wechsel zu Periode 2 (100/110-130/140) verschoben; die für die Besteuerung relevante Frontbreite änderte also. Noch bemerkenswerter ist der Wechsel in der Bautechnik: In Periode 1 errichtete man relativ komplexe Mehrraumhäuser in Holz-Erde-Bauweise sowie Einraumbauten, mindestens 2 davon mit Heizung. Für Periode 2 hingegen sind Grubenhäuser typisch. Letztere sprechen nach Ansicht der Autor/innen für die Anwesenheit von Siedlern aus dem norisch-pannonischen Raum, die sich im Vicus niedergelassen hätten. – Nur erwähnt seien weitere präsentierte Baureste wie Brunnen, Latrinen, Gruben mit Sonderfunktionen und insbesondere Keramiköfen, in denen die ein erheblicher Teil der in der Grabung geborgenen Keramik hergestellt worden war.

Der zweite Hauptteil ist übertitelt mit «Typochronologische und chorologische Analyse der archäologischen Funde sowie sozio-kulturelle und sozio-ökonomische Synthesen zur materiellen Kultur im Vicus Ost des Kastells Mautern-Favianis» (S. 197–539). Nach bewährtem Muster ist er nach Fundgattungen gegliedert. Am Anfang stehen die gerade einmal 24 Fundmünzen aus stratifiziertem Zusammenhang sowie die knapp 40 als Streufunde anzusprechenden Münzen (aus der 4650 m2 grossen Grabungsfläche!); sie decken einen Zeitraum von knapp 400 Jahren ab. Daran schliesst sich die Präsentation der weiteren Fundgattungen an: Keramik (inkl. einem Kapitel über die lokalen Töpfereibetriebe), Glas, Metall Bein, Stein, Textilien, Bewaffnung/Ross und Wagen, Metallgefässe und -geräte für Küche und Tafel, Geräte und Werkzeuge. Das Schema bleibt sich immer gleich: In einer knapp gehaltenen Einleitung wird der Typ kurz skizziert und die Anzahl gefundener Individuen genannt. Die Gesamtzahl der Kleinfunde allerdings wird nur für die Münzen und die Sigillaten genannt. Ein Überblick über alle Gattungen fehlt leider; man muss auf knapp 250 Seiten Stückzahlen zusammensuchen oder aber realisieren, dass im abschliessenden Kapitel «Zur materiellen Kultur im Vicus Ost von Mautern-Favianis» (S. 444–539) am Anfang jeder Periode zumindest die Gesamtobjektzahl genannt ist (Summe über alle Perioden: rund 25 000). H. Sedlmayer wertet hier die verschiedenen Fundgattungen aus und befragt sie hinsichtlich Tradition, Innovation und Adaption von Fremdeinflüssen, sie geht ökonomischen Aspekten wie Ressourcen, Produktion und Import nach und stellt die Resultate aus der Grabung Südostvicus jenen aus dem Kastell gegenüber. Unter anderem unterstützt sie anhand der Keramik die im Zusammenhang mit den Bauformen genannte These, es seien Siedler aus dem südostnorischen Raum zugewandert und hätten ihre Sitten und ihre materielle Kultur zu einem erheblichen Teil beibehalten.

Sodann folgen ein Kapitel zu den Graffiti (S. 541–565) und eines zu den Resultaten einer petrographische Untersuchung (S. 567–578), in der insbesondere der Nachweis gelang, dass ein erheblicher Teil der Keramik lokal gefertigt worden war. Das Kapitel über die Molluskenfunde (S. 579–633) enthält neben der katalogartigen Darstellung der Reste die Schlussfolgerungen, die sich für die Umwelt sind die 57 festgestellten kontinentalen Arten ergeben, ferner Aussagen zum kulturhistorischen Aussagewert. Für das Kapitel über die archäozoologischen Ergebnisse (S. 635–708) hat G.K. Kunst die Reste von Haus- und Wildtieren aus ausgewählten Befunden bezüglich Menge, Arten- und Altersverteilung, Skelettspektrum und Verwertungsspuren untersucht und dabei ein Schwergewicht auf die Stellung der Tierarten innerhalb der Ernährung gelegt (soweit sie überhaupt gegessen wurden). Ausgesprochen attraktiv ist ein Exkurs über einen Rinderkiefer, der an der Unterseite starke Abriebspuren aufweist und für den G.K. Kunst eine Deutung als Teil eines Schlittens vorschlägt (S. 709–730).

Im Katalogband ist das erste Gliederungskriterium die Periode, das zweite der Fundkomplex. Die mitgelieferte CD-ROM (Anforderungen: Windows 2000 oder XP, Adobe Reader 6) erleichtert das schnelle Auffinden eines gesuchten Objekts – soweit das bei der gut nachvollziehbaren Struktur von Kleinfundekapitel und Katalog überhaupt ein Problem ist.

Zitierweise:
Urs Niffeler: Rezension zu: Stefan Groh, Helga Sedlmayer, Forschungen im Vicus Ost von Mautern-Favianis. Die Grabungen der Jahre 1997–1999. Der römische Limes in Österreich, Heft 44. Wien 2006. Textband 768 Seiten, 272 Abb., 163+1 Tab.; Katalogband 768 Seiten, davon 303 Taf.; Mappe 40 Beilagen, 1 CD-ROM (Katalog). Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 89, 2006, S. 301.

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 89, 2006, S. 301.

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